Dyskalkulie

Die Rechenkompetenz einer großen Zahl von Schülern ist – gemessen am An­spruch der Lernziele – oft gering. Die einschlägige Fachliteratur zeigt auf, dass 10-20% aller Schüler mehr oder weniger große Schwierigkeiten in Mathematik haben. 

 

Die Ursachen sind unserer Erfahrung nach mit denen der Legasthenie identisch. Es sind lediglich andere Gehirnbereiche betroffen. Die Probleme werden bereits beim Erlernen der 4 Grundrechenarten sichtbar. Einem Kind mit Dyskalkulie mangelt es üblicherweise nicht etwa an mathematischer Begabung – ebenso, wie wir es selbst schon häufig erlebt haben, dass Legastheniker durchaus eine sogar überdurchschnittliche Begabung für Deutsch hatten!

So, wie der Legastheniker an einer Wortbildschwäche leidet (er hört ein Wort und hat keine Vorstellung davon, wie das Wort aussehen könnte), bereitet dem Dyskalkulie-Kind ein Aufbau von Vorstellungsbildern bezüglich Mengen die grundlegenden Probleme. Beim Anblick von z.B. drei Bällen kann es nicht eine Verknüpfung mit der Zahl 3 herstellen. 

 

Ebenso schwierig und nicht nachvollziehbar empfindet dieses Kind die Tatsache, dass sowohl 4 plus 5 als auch 5 plus 4 zu dem gleichen Ergebnis führt. Noch ein weiteres, sehr bezeichnendes Detail sei hier angeführt, was sehr typisch für ein Kind mit Dyskalkulie ist. Um die Übungen spielerisch zu gestalten, bieten sich kleine Würfelspiele an. Der erste Würfel zeigt beispielsweise 6 Augen, der zweite Würfel 2 Augen. Das Kind zählt zuerst die Augen des ersten Würfels ab und dann die des zweiten Würfels. Nun soll der gesamte Wurf addiert werden.  An­statt beim zweiten Würfel von 6 ausgehend weiter zu zählen, beginnt das Kind wieder, die einzelnen Augen des 6-er Würfels abzuzählen und zählt dann mit dem zweiten Würfel weiter 7, 8. Es fehlt vollkommen die Mengenvorstellung, es ist al­les ein großes abstraktes Niemandsland.

 

Dazu gesellen sich später  Schwierigkeiten beim Erkennen wichtiger Sachverhalte (Wahrnehmungsschwäche) bei Textaufgaben und beim Umsetzen von Regeln. Ein Dyskalkuliker kann zwar Regeln auswendig lernen, aber ihm fehlt das Verste­hen, um sie dann auch praktisch umsetzen zu können. Zum einen durch ein ge­störtes Kurzzeitgedächtnis (mitten im Addieren fängt es an zu subtrahieren, es schreibt Zahlen zum Berechnen falsch von der Vorlage ab und hat generell oft Zahlendreher), zum anderen durch Versagensängste nach den ersten misslunge­nen Klassenarbeiten, baut  sich eine allgemeine Angst vor Zahlen auf. Je größer die Zahlen, desto größer wird die Angst. Über die 10 hinaus – im Sommer mit nackten Zehen könnte es noch bis 20 gehen – fühlt sich das Kind vollkommen hilflos.

 

Nach Einschätzung des Leiters des privaten Zentrums zur Therapie der Rechen­schwäche (ZTR) in Berlin leiden bis zu 18% aller Schüler an einer mehr oder we­niger stark ausgeprägten Dyskalkulie. Damit wären etwa ein Fünftel aller Schüler von Dyskalkulie betroffen. Mit Hilfe von diversen Strategien, die zum Teil von großem Einfallsreichtum zeugen, bleibt ein großer Teil der von Dyskalkulie be­troffenen Kindern unentdeckt. Sie sind teilweise unglaublich fit, mit Hilfe der Finger auch schwierigere Aufgaben zu lösen.

 

Ganz gleich, ob ein Kind an Legasthenie oder Dyskalkulie leidet, die Angst vor Blamage und der damit verbundene Dauerstress machen unserer Erfahrung nach einen weitaus größeren Anteil an dem gesamten Problem aus als die Rechenstö­rung selbst. Im Kapitel Lerntipps Mathe findet man genaue Beschreibungen über Vorgehensweisen für das Erlernen  von Mengenzuordnungen und vieles mehr.

 

Leider werden Eltern hier von der Schule im Regen stehen gelassen.. Wenn ein Kind durch den normalen Unterricht nicht die abverlangte Leistung erbringen kann, breitet sich große Ratlosigkeit auf allen Seiten aus, und die Eltern werden meist nur mit der Aufforderung des Mehr-Üben-Müssens in die Eigenverantwor­tung entlassen. 

 

Es wird aber dabei leider nie genauer erläutert, wie die Eltern mit ihrem Kind z.B. das 1x1 üben sollen. So entstehen gleich zu Anfang Schwierigkeiten beim 1x2. Es wird oft von Elternseite dem Kind so vermittelt: 2, 4, 6, 8, 10. Auf diese Weise kommt das Kind aber nicht dazu, ohne Abzählen prompt die Antwort auf 7 x 2 oder 8 x 2 geben zu können. Bei den größeren Ziffern, wenn die Finger zum Mit­zählen nicht mehr ausreichen, kommt dadurch sehr schnell Hilflosigkeit und Verwirrung auf. Ein Kind ohne diese Störung wird durch den üblichen Ma­the-Unterricht weitestgehend befähigt werden zu rechnen. Aber ein Dyskalkulie-Kind fällt hier leider erbarmungslos durch die Maschen. Das Dramatische dabei ist, dass die Störung vom Lehrer meistens nicht erkannt wird. Hier sei nur eine typische Begebenheit erwähnt, die eigentlich sämtliche Alarmglocken schrillen lassen müsste:

 

In den ersten beiden Schuljahren gibt es in der Regel Aufgabenblöcke (z.B. 10 Aufgaben untereinander, die sowohl Minus als auch Plusaufgaben enthalten. Un­sere „besonderen“ Kinder nehmen diese Unterschiede aber nicht unbedingt wahr, sondern sie verharren bei der Rechenart der 1. Aufgabe des gesamten Blockes. Der Lehrer sieht nur das falsche Ergebnis, es folgt ein rotes „f“ für falsch, und unter der Arbeit steht der frustrierende Kommentar „Pass beim nächsten Mal besser auf!“ Dabei hat das Kind all seinen Willen mobilisiert und sich nach besten Kräften bemüht. Beim genaueren Hinsehen hätte man gemerkt, dass die anderen Aufgaben in gewisser Weise „richtig" gerechnet wurden, eben unter Nichtbeachtung der wechselnden Plus- und Minuszeichen.

Wir haben schon erlebt, dass Kindern das Plus- und Minuszeichen als etwas völ­lig Abstraktes angesehen haben und damit nichts anfangen konnten, oder sie konnten sich zumindest nicht merken, wann die gesamte Menge zu- oder abneh­men muss. Weiter unten lesen Sie hierzu konkrete Hilfen und Fallbeispiele.

 

Schlechte Noten in Mathe haben jedoch nicht immer eine Dyskalkulie als Hin­tergrund. Leider  haben wir bei unseren Schülern (verschiedene Altersgruppen, alle Schularten) sehr häufig äußerst inkompetente Mathelehrer erleben müssen. Hin und wieder findet man Berichte in den Zeitungen, dass ganze Abiturklassen mit einem Durchschnitt der Note 5 in der Mathematikprüfung abgeschnitten hat. Eine unserer Schülerinnen berichtete uns Vergleichbares bezüglich des No­tenschnittes der 12. Klasse. Die Klasse hatte bis dahin, also bevor dieser Lehrer die Klasse übernahm, völlig durchschnittliche, normale Noten. Trotzdem äußerte er der Klasse gegenüber, sie seien wohl alle auf der falschen Schule, wenn sie für Mathe zu blöd wären .Nach Intervention der Klasse beim Direktor wurde dar­aufhin das Unterrichtsfach Mathe dem Lehrer – zumindest für die 12. und 13. Klassen - entzogen, und er wurde stattdessen mit dem Fach Informatik betraut.

 

Solche Lehrer, die  schließlich auch in einer 5. oder 6. Klasse unterrichten, ver­mitteln dem Kind, das immerhin wegen guter Leistungen auf der Grundschule auf ein Gymnasium gewechselt hat, das Gefühl, es sei den Anforderungen nicht gewachsen. Die Zahl derer, die in solchen und ähnlich gelagerten Fällen mit ei­nem schmerzlichen Versagensgefühl das Gymnasium oder die Realschule verlas­sen, dürfte nicht unerheblich sein.

 

Wenn Eltern zu einem Gespräch mit diesem Lehrer zusammen­kommen, wird er wohlmöglich Behauptungen aufstellen, die kaum widerlegbar sind: z.B. Ihr Kind träumt, passt nicht auf, schwätzt usw.

 

Lehrer haben bislang in ihrem gesamten Studium (diese Information haben wir von verschiedener Seite erhalten) nichts über die verschiedenartigen Lerntypen gehört, geschweige denn  etwas über spezielle Lernstörungen. Wenn ein Kind den vermittelten Stoff nicht beherrscht, ist es in seinen Augen entweder unbe­gabt, für diese Schulart nicht geeignet (was Eltern dann ganz besonders verunsi­chern kann), unaufmerksam oder lernunwillig, also faul. Auf den Gedanken, dass es auch an unzureichender Didaktik liegen kann, kommen nur die wenigsten, und wenn man diesen Aspekt ganz vorsichtig und dezent anspricht, wird dies als ungerechtfertigter Angriff aufgefasst mit entsprechender Verstimmung auf beiden Seiten.

 

Trotz alledem sei ebenfalls betont, dass es auch gute, engagierte Lehrer gibt, die ihrer Aufgabe gerecht werden. Allerdings schei­nen sie nach unserer Erfahrung sehr in der Minderheit zu sein. 

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