Marie

Marie ist ein nettes, temperamentvolles, aber nicht hyperaktives 14-jähriges Mädchen. Sie besucht die 8. Klasse einer Realschule. In Mathematik steht sie zwischen 1 und 2, in Deutsch auf einer guten 3, in Englisch jedoch auf 5+.

 

Marie wirkt auf den ersten Blick selbstbewusst und offen. Dieser Eindruck ändert sich aber schon bei der ersten Begrüßung: Ihre Hände sind klatschnaß und kalt, und so bleibt das die nächste Zeit - selbst nachdem wir uns besser kennen gelernt haben.

 

Sie ist sehr fleißig, strebsam und ernsthaft um gute Leistungen bemüht. Wie ihre Noten zeigen, ist sie - bis auf Englisch - eine gute Schülerin, aber sie bringt es, trotz ausführlichen Übens und geduldigen Erklärens nicht fertig, auch nur einen Satz fehlerfrei zu schreiben.

 

Wenn alle Vorraussetzungen gegeben sind, wenn also der Schüler willig und fähig ist, wenn die Lerndefizite bedarfsgerecht vermittelt werden, wenn der ganze Vorgang streßfrei stattfindet, dann wird in aller Regel ein Lernerfolg gegeben sein. - Alle Vorraussetzungen waren erfüllt worden, aber der Lernerfolg wollte sich nicht einstellen. Jetzt war von einer Blockade auszugehen, und es war dringend erforderlich, deren Ursache zu ergründen.

 

Obwohl einige Geschwister und der Vater unter Heuschnupfen leiden, verzichten wir vorerst auf eine Ernährungsumstellung (was ansonsten sehr nahegelegen hätte!), aber bei den permanent naßkalten Händen scheint emotionaler Stress absolut vorherrschend zu sein.

 

Bei Marie stellt sich schnell heraus, dass die Ursache für die Lernstörung im häuslichen Umfeld zu suchen ist: Ihre Mutter. Aus terminlichen Gründen kann es nicht so schnell, wie es eigentlich erforderlich wäre, zum Beratungsgespräch kommen, deshalb werden ihr die wesentlichen Punkte vorab per Fax übermittelt. (Natürlich haben wir auch hier die persönlichen Hintergründe so weit verändert, dass ein Bezug auf irgendwelche Personen oder Schüler nicht mehr möglich ist!)

 

Liebe Frau R.

nachdem unser Gesprächstermin leider nicht zustande gekommen ist, möchte ich Ihnen die wichtigsten Punkte auf diesem Weg zukommen lassen. Wir werden den Termin zum telefonisch anvisierten Zeitpunkt nachholen.

 

Wie ich Ihnen schon erklärt hatte, sind die Probleme bei Marie psychischen Ursprungs. In den letzten Wochen habe ich mit ihr weitere Tests gemacht, insbesondere unter Zuhilfenahme der angewandten Kinesiologie, von denen Marie Ihnen erzählt hat. Ich habe dabei die Möglichkeiten einer sogenannten Altersrückführung genutzt, mittels der man den Menschen in bestimmte Zeiträume zurückversetzt und feststellen kann, in welcher psychischen Verfassung er sich dabei befand. Obwohl Marie mir versicherte, dass beide Klassenlehrerinnen in der Grundschule nett waren und sie auch bewusst nichts Negatives über diese Schulzeit wußte, kam aus ihrem Unterbewusstsein vom Tag der Einschulung an (!) psychischer Stress an die Oberfläche.

 

In direktem Zusammenhang dazu stehen Ihre Erfahrungen in der Grundschule mit der Lehrerin Frau M. Unbewusst haben Sie von Anfang an Ihr damaliges Negativ-Erlebnis, welches sehr streßbehaftet geblieben ist (das habe ich Ihnen beim Erzählen angemerkt), auf Marie übertragen.

 

Ein kleines Beispiel: Als Marie krank war und vor der Englischarbeit nicht zu mir kommen und folglich auch die Arbeit nicht mitschreiben konnte, sagten Sie mir am Telefon, Sie seien mit den Nerven ganz fertig. Selbst wenn Sie sich bei Marie nicht so äußern sollten, überträgt sich Ihre extreme nervliche Anspannung auf sie. Vor zwei Wochen machte ich mit Marie einen Test, den ich Ihnen schildern möchte: Ich sagte zu ihr, dass es im Grunde ganz egal sei, welche Noten man in einer achten Klasse hätte, solange sie nicht zum Sitzenbleiben führten. Aber das sollte sie auf keinen Fall ihrer Mutter erzählen! Kurz darauf hatte sie zum allerersten Mal keine kalten, feuchten Hände, sie waren warm und trocken. Durch die emotionale Divergenz, d.h. durch die Trennung der schulischen Anforderungen von den mütterlichen Erwartungen wurde unmittelbar danach der psychische Stress aufgelöst

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Um nochmals auf die verschiedenen kinesiologischen Tests zurückzukommen: Ich stellte bei Marie nicht nur in Englisch blockierenden Stress fest, sondern ebenso in Fächern, die sie nach eigenem Bekunden gut kann, wie z.B. Biologie oder Mathematik. Das bedeutet, dass alles, was in irgendeiner Weise leistungsbezogenes Handeln verkörpert, in ihr Stress hervorruft aus der unbewussten Angst, nicht gut genug zu sein. Erinnern Sie sich noch an Maries Frage bezüglich der 3,2 in der Englisch-Arbeit? “Mama, bist Du damit zufrieden?”! Sie sehen daraus, welch unglaublich hohe Erwartungshaltung Marie bei Ihnen vermutet, wenn sie auch nur den vagen Verdacht hat, Sie könnten nach nach einem Notenschnitt von 5+ mit diesem Ergebnis nicht zufrieden sein!

 

Ein weiteres, sehr aussagekräftiges Beispiel schilderten Sie mir im Zusammenhang mit der verunglückten Vokabelarbeit Ihrer Tochter Lena. Obwohl Sie sie am Tag zuvor abgehört hatten, ging die Arbeit daneben, d.h. am mangelnden Lernen kann es nicht gelegen haben. Sie hatten zu Lena gesagt, Sie seien enttäuscht von ihr! Versuchen Sie einmal nachzuempfinden, wie sich Lena dabei fühlen musste: Obwohl die Mutter mit ihr gelernt hat, konnte sie die geforderten Leistungen nicht bringen - und die Mutter war enttäuscht von ihr! Was muss sie doch für ein Versager sein! Und bei der nächsten Arbeit wird der Stress noch größer!

 

Zurück zu Marie. Sie steht mit Sicherheit ständig unter dem extremen Druck, Sie nicht enttäuschen zu wollen. Sie liebt Sie über alles und möchte möglichst perfekt Ihren Anforderungen und Wünschen entsprechen.

 

Jetzt werden Sie fragen: Was soll ich denn sonst sagen? Ich selbst habe meine Kinder ohne eine einzige Ausnahme stets bei schlechten Noten getröstet, auch wenn ich manchmal selbst Trost gebraucht hätte. Jedes Kind bemüht sich immer, sein Bestes zu geben. Ein Kind, das nicht nach Erfolg strebt, gibt es unter normalen Umständen überhaupt nicht. Und wenn etwas daneben geht, ist es für das Kind selbst schon schlimm genug. Bei all den schweren Tiefschlägen, die mein Sohn schon in seiner gesamten Schulzeit erlitten hatte, bin ich glücklich, es fertig gebracht zu haben, dass er trotzdem in dieser Hinsicht nie streßbelastet war. Selbst jetzt, 8 Wochen vor den ersten Abi-Prüfungen, hat er kein Stressempfinden.

 

Auch wenn es Sie einige Überwindung kosten wird, aber Sie sollten dahin kommen, die ganze Situation lockerer zu sehen. Bemühen Sie sich, soviel Zeit wie möglich - mit guter Organisation ist alles machbar - allein für Marie zu haben, aber nicht zum Lernen, sondern für die schöneren Dinge des Lebens, zum Spielen, Basteln, Unterhalten oder anderen Sachen, die Marie gerne mit Ihnen gemeinsam tun möchte. Sie braucht unbedingt mehr Zuwendung emotionaler Art, die nicht verknüpft ist mit der Erledigung irgendwelcher Pflichten. Und wenn Marie Ihnen wieder einmal im Haushalt hilft, wäre es eine gute Möglichkeit, ein Dankeschön oder Lob auf folgende Weise auszusprechen: Ich finde es prima, dass du mir geholfen hast, jetzt bin ich schneller fertig, um mehr Zeit für Dich zu haben.

 

Bitte lassen Sie sich alles in Ruhe durch den Kopf gehen. Haben Sie Mut zur eigenen, inneren Wandlung - Erfolge werden wir ganz schnell an Maries Händen und ihren Grammatik-Sätzen erkennen können.

 

Wenn Sie noch Fragen haben oder Hilfe oder Unterstützung brauchen, werden wir bei unserem nächsten Termin darüber sprechen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Bereits kurze Zeit später war Marie nicht mehr wiederzuerkennen. Die feuchten, kalten Hände gehörten ebenso der Vergangenheit an wie ihre Unsicherheiten in der englischen Grammatik. Ihre Mutter hatte es durch ihre Bereitschaft, sich selbst zu ändern, fertig gebracht, den ständigen, unbewusst ausgeübten Leistungsdruck von ihren Kindern zu nehmen!

 

Merke: Bei Marie zeigt sich, dass sich emotionaler Stress auch sehr punktuell auswirken kann! Durch das geschilderte Verhalten der Mutter war Marie unter Leistungsstreß geraten. Irgend ein Ereignis in der Vergangenheit, es kann so unbedeutend gewesen sein, dass es keinem der Beteiligten in Erinnerung geblieben ist, hat bei der Tochter den Eindruck hervorgerufen, in Englisch nicht die von der Mutter gewünschten Leistungen zu erbringen. Die Folge war der Stress, der Marie tatsächlich dann in ihrer Leistungsfähigkeit blockierte. Es ist also nur nötig, als Ursache der Schulprobleme den auslösenden Stress zu erkennen und beseitigen!

 

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