Roland

Roland: Frau S. ist in zweiter Ehe wieder verheiratet und hat zwei Kinder. Ihr Sohn Roland ist aus erster Ehe, er besucht inzwischen die vierte Klasse der Grundschule. Die Mutter hatte sich von ihrem ersten Mann unter anderem deshalb getrennt, weil sie ständig von ihm geschlagen worden war. Der Hass über ihn sitzt bei ihr noch immer tief. Der Sohn sieht, wie die Mutter sagt, seinem Vater sehr ähnlich. Er ist ein sehr hübscher Junge mit leuchtend blauen Augen und langen, dunklen Wimpern.

 

Roland soll unbedingt die Gymnasialempfehlung erreichen, damit, so der Wunsch von Frau S., er auf das gleiche Internat kann, das sie selbst als Kind besucht hatte. Allerdings berechtigen die derzeitigen Ergebnisse zu keinen großen Hoffnungen, deshalb kommt er zu mir. Nachdem sich bald herausstellt, dass die derzeitigen schwachen Leistungen neben großen Wissenslücken auch auf eine Nahrungsmittel-Unverträglichkeit zurückzuführen sind, wird Mutter und Sohn in einem gemeinsamen Gespräch die Notwendigkeit einer Diät erläutert.

 

Frau S. ist über einen möglichen Erfolg sehr skeptisch. In Rolands Gegenwart bringt sie deutlich zum Ausdruck, dass sie ihm nicht vertraut und sich sicher ist, dass er sich heimlich Süßigkeiten kaufen würde. - Der kleine Kerl sitzt da und weint still vor sich hin. In der Folge zeigt sich jedoch, dass er die erforderliche Diät sehr wohl eigenverantwortlich und freiwillig einhält. Entsprechend positiv entwickeln sich die Noten, z.B. im Deutsch- Diktat von 3,5 auf 2,0 und in Mathe von 3,0 auf 1,5.

 

War ich zunächst noch über das allzu freimütig geäußerte Mißtrauen der Mutter überrascht, stellt sich aber bald heraus, dass diese Episode kein Einzelfall ist. Bei vielen Gesprächen mit Roland zeigt sich, dass seine Mutter schnell ungehalten wird und wegen jeder Kleinigkeit in Wut gerät. Verhält er sich nicht so, wie sie es will, reagiert sie mit Liebesentzug. Sie beschimpft ihn mit demütigenden Bemerkungen wie: Vollidiot, zu dumm für alles, Depp, hirnamputierter Idiot, usw. Nach einem dieser Vorfälle erzählt er mir - und das Kinn wackelt dabei - er habe daraufhin zu ihr gesagt, wenn du so zu mir sprichst, dann tut es mir aber im Herzen weh! Die Mutter habe sich nur umgedreht und wortlos aus dem Fenster geblickt!

 

Dieses Verhalten ist zwar zum Teil aus ihrer ersten Ehe heraus zu erklären, so lebt sie ihren Haß auf den ersten Ehemann an seinem Stellvertreter aus - aber für ihren Sohn ist das ein Martyrium! Ablehnung und Mißtrauen bestimmen seinen Alltag, er darf z.B. auch nicht alleine zu Hause bleiben, wenn Frau S. einkaufen geht. Hat er keine Lust sie zu begleiten, muss er bei Wind und Wetter vor die Tür.


Irgendwann zu Beginn der Vorweihnachtszeit berichtet er von seinem größten Wunsch für das Fest: Er möchte in ein Heim und seine Mutter nie mehr sehen müssen!

 

Natürlich bitte ich die Eltern umgehend zu einem Gespräch. Frau S. ist fassungslos, anscheinend ist ihr nicht bewusst, was sie mit ihren Wutausbrüchen und Beschimpfungen im Seelenleben ihres Sohnes angerichtet hat. Sie weiß allerdings sehr genau, dass bereits ihre eigene Mutter den Entzug der Zuwendung als Mittel zur Disziplinierung eingesetzt hat, eine Vorgehensweise, die sie verabscheut hat und die sie selbst noch heute als unfair und schrecklich empfindet! Und trotz dieses Wissens handelt sie nicht anders.

 

Frau S. gelobt mir und ihrem Mann, der sich sehr für seinen Stiefsohn einsetzt, Besserung. In der darauf folgenden Zeit blüht Roland richtig auf, vor den Weihnachtsferien ist er auf einem Notenstand, der für die Aufnahme in’s Gymnasium reichen würde. Nach den Ferien ein kurzer Anruf von Frau S., Roland hat angeblich keine Lust mehr...

 

Seinen Klassenkameraden, von denen ich es wiederum erfahre, erzählt Roland, seiner Mutter sei die ganze “Diätkocherei” zu viel Mühe gewesen! In der Folge schafft er nur knapp den Sprung auf die Realschule, hält natürlich keine Diät mehr. Selbst seinen Freunden fällt auf, dass er sich mit Süßigkeiten und Schokolade richtig vollstopft. Schokolade hebt den Serotonin-Spiegel, wer seine familiären Verhältnisse kennt, kann sich nicht darüber wundern, dass er sich ein bißchen Glücksgefühle wenigstens auf diese Weise holt!

 

Drei Jahre später muss er wegen seiner schlechten schulischen Leistungen auf die Hauptschule wechseln und bringt es auch dort nur auf ganz dürftige Noten. Was ist nur aus diesem gut veranlagten, intelligenten Burschen geworden! Intellektuell chronisch unterfordert, frustriert in der Schule, abgelehnt von der Mutter, ohne Rückhalt im Leben. Ein trauriges Schicksal eines begabten Kindes.

 
Merke:  Hier muss das Kind die persönlichen Fehler der mütterlichen Lebensplanung ausbaden. Wie das die Mutter vor sich selbst rechtfertigt?
 

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