Torsten

Torsten kommt das erste Mal zu Beginn der dritten Klasse zu uns, steigt nach einem Vierteljahr für ein ganzes Jahr wieder aus.

 

Nach seiner Rückkehr sind seine Leistungen in der Schule beängstigend. Er ist völlig unkonzentriert. Seine Hände und Füße sind fast ununterbrochen in Bewegung. Um ein einziges Wort richtig aufzuschreiben, bedarf es zehn Versuche, obwohl er sich das Wort vorher lange genug ansehen konnte. Soll er die Zahl 35 aufschreiben, schreibt er 53.

 

Er kann nicht einmal das Einmalzwei spontan, das heißt kreuz und quer. Erstaunlicherweise kann er trotzdem multiplizieren, aber eben auf die typische Art, die Kindern mit diesen Störungen zu eigen ist und dazu führt, dass manche Eltern erst viel zu spät merken, dass ihr Kind eine Rechenschwäche hat. Auf meine Bitte zeigt mir Torsten, wie er das macht: Er nimmt sieben mal zwei Finger, zählt sie dann und bringt richtig 14 als Ergebnis, obwohl er sich ja die ersten zehn Finger schon mal merken muss....

 

In Deutsch hat er noch jetzt in der 3. Klasse Unsicherheiten bei einzelnen Buchstaben in Schreibschrift. Die grundlegendsten, einfachsten Wörter sind bei ihm nicht verlässlich verankert. Ein typischer Legastheniker. 

 

Es ist ganz offensichtlich: Torsten leidet an einer Nahrungsmittelunverträglichhkeit. In solchen Fällen ist eine Diät dringend erforderlich. Leider wird sie nicht zuverlässig gehalten. Torsten ist, das zeigt sich immer deutlicher, ein pfiffiger, aufgeweckter kleiner Bursche, der an allem interessiert ist. Mit seinen realen Leistungen in der Schule, bzw. der Benotung dafür, wird er weit ”unter Wert gehandelt”! Er selbst hat den dringenden Wunsch, sich zu verbessern. Nicht zuletzt auch deshalb ist es für uns selbst immer wieder frustrierend, wenn wir seine Rückschläge miterleben müssen, vor allem dann, wenn sie vermeidbar gewesen wären.

 

Es steht inzwischen auch für Torsten und seine Mutter völlig außer Zweifel, dass die Ursache seiner Lernschwierigkeiten eine Nahrungsmittel-Unverträglichkeit ist. Ohne Diät ist sein Leistungsvermögen indiskutabel, hält er sich daran, ist er kaum wiederzuerkennen. Nachdem er das erste Mal eine Woche Diät halten konnte, merkt er den positiven Unterschied selbst, er fühlt sich “irgendwie anders, besser”. Entsprechend positiv geht auch das Lernen.

 

Eine Woche darauf folgt der nächste Tiefschlag. Nichts geht mehr: Torsten ist völlig blockiert und absolut denkunfähig. Und so vergehen die nächsten Monate im steten Auf und Ab. Hätte es nicht die positive Erfahrung aus dem März gegeben, hätten wir schon längst resigniert und aufgegeben. Wir bitten die Mutter, über einen längeren Zeitraum alles, aber auch alles aufzuschreiben, was Torsten so den Tag über zu sich nimmt Und in dieser Liste tauchten sehr häufig Äpfel auf, als frisches Obst, als Kompott und, vor allem, als Saft. Nachdem er eine Woche lang zusätzlich alle Apfelprodukte weggelassen hat, ist er wie verwandelt. In Englisch schreibt er jetzt ganze Sätze fehlerfrei, eine bislang undenkbare Leistung.

 

Und wieder ein halbes Jahr später hält der Erfolg weiter an. Torsten liegt mit seiner 3 in den Englisch-Klassenarbeiten im Durchschnitt. Auch auf die Nebenfächer wirkt sich natürlich seine erhöhte Konzentrationsfähigkeit aus, und die Arbeiten sind deutlich besser als früher. Diätfehler werden aber nach wie vor knallhart bestraft: Seine Leistungsfähigkeit fällt sprunghaft ab!

 

Aber auch hier zeigt sich, wie so oft, dass das Durchhaltevermögen der Kinder größer ist als wir Erwachsene es ihnen oftmals zuzutrauen bereit sind. Torsten steht auch in der sechsten Klasse noch zu seiner Diät. Entsprechend sind die Erfolge: Englisch im Halbjahreszeugnis eine 2-, in den Nebenfächern weit über Durchschnitt, nur 1er und 2er.

 

Ein Wermutstropfen trübt das positive Bild, und das ist Deutsch. Torsten ist und bleibt Legastheniker. Glücklicherweise schreibt er recht gute Aufsätze, so dass er damit die mangelhaften Diktatnoten ausgleichen kann.

 

Obwohl es manchmal nicht den Anschein hatte, Torsten schafft die Hauptschule mit einem guten Zeugnis (Englisch und Mathematik Note 2) und dann sogar noch den Abschluss an der Werkrealschule!

 

Was uns Torstens Fall vermittelt, ist die unübersehbare Botschaft, dass man nie aufgeben darf.

 

Nebenan zeigen wir zwei Schriftproben, einmal allergisiert, einmal ”clean”. Beachten Sie, wie das Schriftbild unter dem Einfluss des Allergens in’s Fließen kommt, unklar wird. Man bekommt den Eindruck, er möchte die Unsicherheit, die er jetzt körperlich empfindet, mit einem “protzigeren“ Schriftbild kompensieren. 

Natürlich gewinnt er auch mit diesem Schriftbild keinen Wettbewerb im Schönschreiben, aber darum geht es auch gar nicht!

 

Man muss sich vielmehr vor Augen halten, dass beide Proben von ein und dem selben Schüler stammen mit einer zeitlichen Differenz von etwa 10 Tagen. 

 

Aber noch viel erstaunlicher ist, dass man durch die richtige Diät, bzw. Verstöße dagegen zwischen den beiden Zuständen hin und her "schalten" kann!

 

 

Merke: Torsten ist ein Legastheniker, wie er im Buche steht! Er entspricht in allem auch unserem Erfahrungsmuster, das heißt, er spricht auf die dringend erforderliche Ernährungsumstellung ebenso zuverlässig an wie auf die beim LLS-Schüler erforderlichen Lerntechniken. Leider gibt es nach einem Vierteljahr den geschilderten Bruch in der Entwicklung, als seine Mutter ihn für ein Jahr “pausieren” lässt. Die Gründe hierfür bleiben uns unbekannt, die Konsequenz jedoch ist schlimm!

 

Legasthenie ist eine Beeinträchtigung, der man in den ersten zwei, drei Schuljahren mit viel Einsatz noch beikommen kann. Kann man mit dem Legastheniker einigermaßen parallel zum schulischen Fortschritt arbeiten (selbst wenn es um ein Jahr versetzt ist), dann lässt sich die Legasthenie minimieren, wenn nicht sogar überwinden.

 

Das zeigen unsere Fallbeispiele Sven und Stephan! Das zeigt sich auch bei Torstens Leistung in Englisch: Hier konnten wir ihn vom ersten Tag an lückenlos betreuen, überwachen und bei Unsicherheiten eingreifen. Fast vier ungeförderte Jahre in Deutsch sind für einen Legastheniker bei einer wöchentlichen Doppelstunde so gut wie unaufholbar! Nach der Unterbrechung am Anfang war es unter normalen Randbedingungen nicht mehr möglich gewesen, hier wieder den Anschluss zu finden!

Urlaub am schönen Bodensee: Ein Ziel von vielen: Ein Ausflug zum Affenberg!

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