Gestatten Sie die Frage: Wer sagt das? Ist das IHRE Überzeugung? Wer hat Sie darauf gebracht, solche Meinung zu haben?
Lassen Sie uns die ganze Angelegenheit logisch angehen! Seit langen Jahren beobachten wir Kinder mit Schulproblemen und haben dabei den Eindruck gewonnen, dass ausgesprochene Faulheit eine Eigenschaft ist, die frühestens mit der Pubertät auftaucht. “Faul sein wollen” ist nach unserer Einschätzung die bewusste Entscheidung zwischen den beiden Möglichkeiten, eine geforderte Leistung zu erbringen, bzw. in voller Berücksichtigung der abzusehenden Konsequenzen die geforderte Leistung zu verweigern! (Bei einem Grundschüler ist solche Haltung weniger vorstellbar.)
Nachdem SIE, als Vater oder Mutter, über Ihr Kind urteilen, es sei einfach faul, sollten Sie das auch entsprechend begründen können. Natürlich haben wir auch “faule” Schüler erlebt, aber sie waren doch eher die Ausnahme!
Was kann also einen Erwachsenen dahin bringen, ein Kind als “faul” zu bezeichen? Das ist aus erwachsener Sicht recht einfach zu beschreiben: Er/sie ist zu bequem, die gestellten Aufgaben zu erfüllen. - Sind Sie sicher, dass Ihre Anweisungen immer ausreichend klar formuliert sind, dass Ihr Kind dasselbe darunter versteht wie Sie?
Nehmen wir einen ganz typischen Fall: Die Mutter sagt: Bevor du spielen darfst, musst du noch die neuen Vokabeln lernen! Bei einer späteren Lernkontrolle durch die Mutter (oder nach einem Vokabeltest) zeigt sich jedoch, dass nur ein paar Vokabeln gekonnt werden! Das Urteil lautet ganz klar: Faulheit.
Glauben Sie der Entschuldigung Ihres Kindes, es habe doch gelernt? Fragen Sie, wie es denn gelernt habe? Schimpfen Sie nur, es habe gelogen? Oder unterstellen Sie grundsätzlich, es sei faul? Dann hätten Sie fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann.
Unser eben genannter Fall ist für viele ähnliche Episoden, die uns geschildert wurden, typisch.
Folgendes hat sich nämlich abgespielt: Unser Schüler setzt sich hin, liest die Vokabeln ein paarmal durch, hält dann die Spalte mit den englischen Wörtern zu, fragt sich selbst ab und zufrieden mit einer Erfolgsquote von - sagen wir - 90% geht er beruhigt spielen. Was - glauben Sie - wird er empfinden, wenn man ihn der Faulheit, oder gar der Lüge bezichtigt? Dazu trägt auch die ständige Aufforderung der Lehrer bei, schaut euch bis zum nächsten Mal die Vokabeln an. “Anschauen” reicht in der Regel nicht aus, um die Schreibweise neuer Vokabeln sicher zu beherrschen. Aber der Lehrer wird so wörtlich genommen, wie er es sonst auch verlangt.
Ihr Sohn hat gelernt, nach seiner Überzeugung sogar ausreichend genug, er hat sich ja immerhin auch selbst abgehört! Sie finden, das reicht nicht? Da haben Sie völlig recht, aber haben Sie das schon jemals Ihrem Kind entsprechend vermittelt? Wenn Sie hier Bedenken haben, sollten Sie hier nachlesen wie Vokabeln richtig gelernt werden.
Das trifft in Ihrem Fall nicht zu? Ihr Kind weiß genau, was es hätte machen müssen und über das WIE haben Sie auch schon ausführlich gesprochen?
Appelle an die Eigenverantwortung nützen wenig - seien wir mal ehrlich: Haben wir uns als Schüler davon beeindrucken lassen, dass wir nicht für die Lehrer, sondern für das Leben (unser Leben!)
lernen? Aber Eigenverantwortung kann man trainieren, der Anreiz muss nur groß genug sein. Ein gutes Beispiel ist die Verantwortung für ein Haustier, die dem Kind übertragen wird. Natürlich darf sich
das nicht auf das Ausmisten des Hamsterkäfigs beschränken, das würde ja als Strafe empfunden!
Wenn die bisher genannten Punkte nicht zutreffen und Sie nach wie vor der Meinung sind, es sei faul, dann finden Sie entweder weitere Informationen unter dem Punkt Erwartungshaltung oder Sie müssen sich mit der ganzen Palette “psychischer Probleme” auseinandersetzen! Diese von Ihnen so gesehene Faulheit kann ein Hilferuf sein, mit dem Ihr Kind unbewusst auf seine Probleme aufmerksam machen möchte.
Vielleicht wird es von familiären Problemen (Streit zwischen den Eltern, Trennungsängsten) so sehr beeinflusst, dass die Anforderungen für die
Schule ganz in den Hintergrund treten. Sehr oft werden die Kinder in einer Art Partnerersatz-Rolle mit den Problemen eines Elternteiles überfordert! Oder es hat einfach Probleme, die Sie bislang
schlichtweg übersehen haben?
Vor einigen Jahren beschwerte sich eine Mutter in einem Familienforum über ihre Tochter, die null Bock auf Schule hätte. Das Verhältnis der beiden war zu einem endlosen, nervenaufreibenden Streit
über die “Faulheit” der Tochter eskaliert, und die Mutter wollte sich in jenem Forum Rat holen. Der in einigen Beiträgen geäußerte Gedanke, die Faulheit müsse irgendwelche Ursachen haben, wurde
bei ihr zu der Aussage uminterpretiert: "Faulheit gibt es nicht". Sie schrieb dann wörtlich: “Ha!! Dann sollen die mal zu meiner Tochter kommen. Da liegen garantiert keine Probleme dahinter, sondern
ganz alleine Faulheit!! Sie hat schlicht gesagt keinen Bock, sich die Bücher vorzunehmen. Lieber chillt sie vor sich hin - wie z.B. jetzt, obwohl ich gesagt habe, sie soll sich Geschichte
vornehmen.”
An anderer Stelle schreibt sie: “Ich muss immer Druck machen, damit sie überhaupt etwas macht. Ich hatte in der 5. und 6. lockerer gelassen eben mit dem Gedanken, dass sie ohne Druck von alleine
drauf käme, dass sie zuhause Stoff wiederholen muss und für Tests lernen. Kein Druck hat gar nichts gebracht, nur ihre Faulheit gefördert.”
Für die Mutter steht unumstößlich fest, dass die Tochter faul ist und nur unter Druck lernt! In der derzeitigen Situation mag das zutreffen: Das Mädchen wehrt sich mit der Waffe des Schwächeren, sie
sperrt sich gegen den Druck und weigert sich, den Vorstellungen ihrer Mutter gemäß zu lernen. Wenn die Mutter nicht ganz schnell lernt, sich zurückzuhalten (“Ich muss immer Druck machen...”) und
ihrer Tochter gewisse Freiräume zugesteht, dann wird sich die Tochter sehr schwer tun, ihre Schulkarriere zu einem erfreulichen Ende zu bringen!
Abschließend ist noch auf einen wichtigen Punkt hinzuweisen: Wenn Sie früher, vor Beginn der Schulzeit, Ihr Kind als sehr schlau, pfiffig, allen Aufgaben gewachsen, eingestuft hatten und jetzt enttäuscht feststellen, dass es den Erwartungen bei weitem nicht gerecht wird, dass es nicht aufpasst, faul oder vielleicht überfordert erscheint, dann sollten Sie in Betracht ziehen, ob es nicht vielleicht UNTERfordert ist - es wäre nicht das erste Kind, das auf diese Weise reagiert!
Merke: Faulheit ist keine Krankheit und sollte uns auch keine Rätsel aufgeben. Wenn es sich wirklich um Faulheit
handelt, so ist sie zunächst einmal Ausdruck einer inneren Protesthaltung, die sich vielleicht sonst nicht anders zu artikulieren weiß, oder weil alle Versuche, auf die eigenen Schwierigkeiten
aufmerksam zu machen, gescheitert sind.
Gehen Sie nicht auf Konfrontationskurs, versuchen Sie die Hintergründe zu erkennen und zeigen Sie Verständnis!